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Kalkül und Magie – die feine Kunst der Kundenzentrierung!

Kundenzentrierung besitzt zwei Seiten, zwei starke Treiber: Kalkül und Magie. Die rationale Seite wird von den Treibern Customer Touchpoint Management und Operations bestimmt, während die emotionale Seite durch Treiberfaktoren wie Überzeugung, Haltung, Glaube und Energie gesteuert wird. Zudem gibt es eine horizontale und eine vertikale Strategie, um Kundenzentrierung  vortrefflich umzusetzen. Erstere bedeutet überlegenes Customer Touchpoint Management (und viel Operations-Arbeit), aber vergleichsweise wenig visionäre Kraft. Letztere erfordert die Einsicht, das Erkennen des marktregel-brechenden Customer Insight. Das geht nur bedingt analytisch, verlangt eher unternehmerische, kreative Ansätze. Kundenzentrierung ist kein „Haarschneide-Automat“ – funktioniert eben nicht immer auf dieselbe Art und Weise. Was den Ansatz umso spannender macht. Eines jedoch ist unumstößlich: die Überzeugung, dass in einer hochkomplexen, dynamischen und digitalen Welt nur eine konsequente Kundenzentrierung echte Wettbewerbsvorteile ermöglicht – und dass Kundenzentrierung eine „perfect marriage“ mit Digitalisierung eingeht. Kundenzentrierung weist der Digitalisierung letztlich den Weg!

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Dem Verwaltungsrats-Chef und Eigentümer eines großen Schweizer Mittelständlers war völlig unverständlich, warum einige seiner Top-Führungskräfte eine Initiative gestartet hatten, um das Unternehmen kundenzentriert zu machen. „Warum?“, fragte er. „Wir sind doch absolut kundenorientiert, wir tun alles für unsere Kunden.“ Damit hatte er prinzipiell recht – und dennoch war das Unternehmen keinesfalls das, was man kundenzentriert nennt, denn es funktionierte traditionell aus einer dominierenden Produktorientierung heraus. Produkte wurden in drei großen Produktlinien in einer klassischen Inside-Out-Logik erdacht, entwickelt, gebaut, vertrieben – und Kunden bekamen natürlich den bestmöglichen Service. Das erschien so unglaublich klar und logisch, dass es dem hochrespektablen Eigentümer gar nicht in den Sinn kam, dass man diese Logik auch komplett anders denken kann.

Nehmen wir Motel One, die Vorzeige-Hotelkette, im Jahr 2000 gegründet und mit zuletzt 12 % Umsatzwachstum und über 30 % (!) EBITDA-Marge eine in Sachen Wachstum und Profitabilität absolut eindrucksvolle Erfolgsgeschichte. Was macht Motel One so erfolgreich? Klare Antwort: Das Hotelkonzept ist konsequent kundenzentriert entwickelt und gemanagt. Die wichtigsten Produktmerkmale:

  • Eine in ihren Bedürfnissen klar beschreib- und abgrenzbare Positionierungszielgruppe wird angesprochen: der smarte, effizient denkende Business Traveller.
  • Dieser smarte, effizient denkende Business Traveller erhält das Gefühl von Smart Shopping – „man hat als Gast das Gefühl, mehr zu bekommen, als man bezahlt hat“.
  • Das eigentlich Unmögliche wird verbunden: Die Value Proposition „like the price, love the design“ geht eigentlich nicht zusammen, funktioniert bei Motel One aber dennoch …
  • Dazu werden gezielt visuelle Ankerpoints (insb. Bar, Außenmöbel) geschaffen – die Marke kommt viel strahlender über, als es das Preisimage erwarten ließe.
  • Gleichzeitig sind haptische Produkte mit hohem Nutzwert und Relevanz für den Kunden (z. B. Handtücher, Bettwäsche) sehr hochwertig.
  • Mitarbeiter im Service sind nur nach einer KPI incentiviert: der Zufriedenheit der Gäste am Counter.
  • Im Geschäftsmodell wird konsequent weggelassen, was man als Kunde nicht wirklich braucht (Minibar, Telefon, Sofa/Tisch im Zimmer, Konferenz-/Meetingräume).
  • Zudem sind Prozesse konsequent vereinfacht, z. B. erleichert das Bezahlen beim Einchecken die Abreise am Morgen enorm. Und schließlich fallen Preisschwankungen, z. B. bei Messen, deutlich geringer aus als in anderen Hotels (damit sind Zimmer aus Sicht des Gastes immer zum attraktiven Preis verfügbar …).

Was ist das Muster hinter diesen Merkmalen von Geschäftsmodell und Produkt?

Ausgehend von einer klaren Positionierungszielgruppe und damit einem klaren „Maßstab“ für Wichtiges und Unwichtiges, versteht und hinterfragt Motel One konsequent den Kundenprozess, gestaltet die wirklich wichtigen Kontaktpunkte absolut hochwertig, und beherrscht gleichzeitig (!) die Kunst des Weglassens solcher Elemente, die für den (Ziel-) Kunden geringe Bedeutung haben.

Eine Ebene höher betrachtet liegt darin eine bemerkenswerte Management-Philosophie:

Auf der funktionalen Ebene geht es darum, das Produkt im weitesten Sinne, letztlich aber das Geschäftsmodell (denn hinter dem Kundenkontaktpunkt Check-in stehen natürlich interne Prozesse) entlang der Wertschöpfungskette konsequent am Kunden auszurichten. Hier geht es um den rationalen Aspekt des Verstehens und Optimierens, also Kalkül und letztlich Handwerk. Dieser Teil kann gemanagt werden und umfasst ein absolut professionelles, ganzheitliches Customer Touchpoint Management. Und es geht einerseits um Differenzierung zum Wettbewerb, genau so sehr aber auch um Kostenhebel!

Dabei repräsentiert der Erfolg von Motel One definitiv mehr als perfektes Management-Handwerk! In der Person von Ursula Schelle-Müller, Ehefrau des Gründers Dieter Müller, kommt auf der emotionalen Ebene etwas dazu, was „mehr ist als Marktforschung“. Ein Low-Budget-Konzept zum Design-Highlight zu machen, eigentlich Unvereinbares (Kosteneffizienz und Differenzierung) überzeugend zu verbinden, braucht neben dem Verstehen ein Wollen und Fühlen, das aus einem nicht so einfach fassbaren Momentum gespeist wird.

Was wäre Motel One ohne die Farbe Türkis, ohne den Eggchair, ohne das Fake-Feuer auf jedem TV-Screen – die Grenze zwischen Substanz und Kitsch erscheint „floating“. Dass dies dennoch funktioniert, hat mit Überzeugung, Haltung, Glaube und Energie zu tun; nennen wir es bewusst das Quäntchen Magie hinter Motel One – das vermutlich die stärkste Barriere gegen Nachahmer bedeutet!

Ein ganz wichtiges Zwischenergebnis lautet damit, dass Kundenzentrierung zwei Seiten, zwei starke Treiber hat: Kalkül und Magie – die rationale Seite mit dem Treiber Customer Touchpoint- Management und Operations und die emotionale Seite mit Treibern wie Überzeugung, Haltung, Glaube und Energie. Es gibt andere Beispiele für kundenzentrierte Unternehmen: ING Diba mischt seit Jahren hoch erfolgreich das Retailbanking auf, Penta greift als Start-up kundenzentriert das Geschäftsbanken-Segment an. Oder nehmen wir booking.com und AirBnB, die beide innerhalb von wenigen Jahren zu absoluten Top-Playern in der Touristik/Hotellerie geworden sind – mit international noch ganz anderer Relevanz und Durchschlagskraft als Motel One.

Ist booking.com ein kundenzentriertes Unternehmen?

Es ist zumindest ein hochgradig user-zentriertes Unternehmen, denn booking.com ist vor allem eine Plattform, über die ich Kunde eines Hotels werde. Sehe ich mich als booking-Kunde? Nein, in der Tat eher als Nutzer auf dem Weg, Kunde eines Hotels zu werden. Was booking.com ganz eindrucksvoll beweist, ist, dass der Antrieb für ein kunden- (oder nutzer-)zentriertes Unternehmen in der Überzeugung liegen kann, dass die Kernbedürfnisse von Kunden trotz eines möglicherweise breiten Angebots von Anbietern noch nicht hinreichend erfüllt sind. Dann geht es einfach darum, das, was die Menschen wirklich wollen, entlang des Kundenprozesses richtig gut zu machen und so viel besser als alle anderen, dass Kunden kommen,  vor allem bleiben und dann zufriedene Stammkunden oder -nutzer werden. Wer einmal erlebt hat, wie einen als Kunde ein in Rom sitzender Call Center Agent in gutem Englisch zu einer Ferienwohnung in der Altstadt von Palermo leitet – mit dem Hinweis, an welcher Busstation man aussteigen muss, der weiß, was „richtig gut gemacht“ heißt!

Insofern treibt Booking ein bestehendes Geschäftsmodell (OTAs, also Online Travel Agencies gibt es schon lang und viele) in der Nutzenerfüllung auf die Spitze. Wir nennen das eine horizontale Customer Centricity-Strategie, geht es doch darum, eine Reihe unbefriedigter Kundenbedürfnisse (horizontal) über die Wertkette hinweg optimal zu befriedigen. Hier geht es durchaus um Marktbeherrschung!

Anders AirBnB.

Das Unternehmen hat sich mit seinem Geschäftsmodell auf einen zentralen, heute nicht adressierten Customer Insight gesetzt. Bedient wird der Wunsch von Menschen, bei ihren Reisen authentisch zu übernachten, nicht im cleanen Hotelzimmer, sondern gleich mittendrin zu sein – in eine gleichsam noch warme, „belebte“ Wohnung zu kommen. Und das oftmals zu einem Preis, der deutlich unter dem liegt, den Unternehmen für eine Übernachtungsleistung verlangen (müssen). Damit hat AirBnB disruptiv den Markt verändert, denn – zum Leidwesen vieler Städte und Kommunen einerseits und professioneller Beherbergungsbetriebe andererseits – ist das Angebot an Übernachtungsmöglichkeiten dramatisch angestiegen (mit entsprechenden Konsequenzen für Preise und z. B. Mietwohnungs-Kapazitäten).

Wir nennen das, was AirBnB tut, eine vertikale Kundenzentrierungsstrategie. Hier geht es nicht um Beherrschung eines bestehenden Marktes (à la Booking), sondern um Kundenzugangsbeherrschung auf der Basis eines Core Insight, eines zentralen, noch unerfüllten Kundenproblems!

Zweites zentrales Zwischenergebnis: es gibt eine horizontale und eine vertikale Strategie, Kundenzentrierung vortrefflich umzusetzen. Erstere bedeutet (siehe Kalkül) überlegenes Customer Touchpoint Management (und viel Operations-Arbeit), aber vergleichsweise wenig visionäre Kraft. Letztere erfordert die Einsicht, das Erkennen des marktregel-brechenden Customer Insight. Das geht nur bedingt analytisch, verlangt eher unternehmerische, kreative Ansätze.

Fazit:

Kundenzentrierung ist kein „Haarschneide-Automat“ – funktioniert eben nicht immer auf dieselbe Art und Weise. Was den Ansatz umso spannender macht. Eines jedoch ist unumstößlich: die Überzeugung, dass in einer hochkomplexen, dynamischen und digitalen Welt nur eine konsequente Kundenzentrierung echte Wettbewerbsvorteile ermöglicht – und dass Kundenzentrierung eine „perfect marriage“ mit Digitalisierung eingeht. Kundenzentrierung weist der Digitalisierung letztlich den Weg!

Dieser Beitrag wurde ursprünglich von KEYLENS veröffentlicht, heute Teil der Prophet Germany GmbH


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