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Was bedeutet Corona für die Touristik? – zwischen Desaster und Nachhaltigkeits-Boost!

Es war kurz vor 19 Uhr am Freitag, 28.02.2020, als die Meldung über den Ticker ging (so sagte man mal): die ITB ist abgesagt. Die weltweite Leitmesse der vielleicht globalsten Industrie mit mehr als zehntausend Ausstellern findet zum ersten Mal seit ihrer Gründung 1966 (!) nicht statt. Covid-19, kaum 8 Wochen zuvor vermutlich irgendwo auf einem Markt in Wuhan mutiert, hat uns die Verletzlichkeit einer Industrie mit weltweit fast 1.500 Mrd. US-Dollar Umsatz einmal mehr verdeutlicht.

Was gerade in der Touristik passiert, ist vielleicht nicht beispiellos – aber es ist im wahrsten Sinne des Wortes außer-gewöhnlich. Und auch wenn man in Kommunikation und (eigenem) Verhalten „Maß und Mitte“ wahrt, sind der weitere Verlauf und die weiteren Folgen aktuell kaum prognostizierbar.

Wie auf die Corona-Krise schauen? Über das jetzt unmittelbar notwendige – vom Management einer Messe-Absage wenige Tage vor deren Start bis zur Bewältigung von akut notwendigen Re-Routings, Umgang mit Stornierungen etc. – stellt sich die Grundsatzfrage nach den wirtschaftlichen Konsequenzen für das aktuelle Geschäftsjahr und ggf. darüber hinaus. Wie das Ergebnis steuern, wie stark reagieren auf der Kostenseite – umschalten in den Krisen- oder gar Restrukturierungs-Modus – oder möglicherweise in der unübersichtlichen Gemengelage die Möglichkeit erkennen für nachhaltige Geländegewinne?

Aus China kommt die Krise, aus China kommt auch eine kluge Sicht auf das Phänomen „Krise“. Das chinesische Wort für Krise besteht aus zwei Schriftzeichen. Das eine bedeutet „Gefahr“, das andere „Gelegenheit oder Chance“. Und genauso, wie es unternehmerische Pflicht ist, der Gefahr zu begegnen und hier schnell und entschlossen zu (re-)agieren, so bietet die aktuelle Situation mit etwas Abstand und auf den zweiten Blick möglicherweise neue Perspektiven und konkrete Veränderungs- und Wachstumschancen – und dies im Zusammenhang mit dem Phänomen, das vor Corona die touristische Welt über Monate beherrscht hat: Nachhaltigkeit.

Und so lautet eine wichtige Frage – vielleicht nicht für den Moment – aber vermutlich schon sehr bald: Wo wird die Branche „post-Corona“ mit Blick auf die seit dem Herbst 2019 umfassende und von nicht wenigen Touristikern ebenso als krisenähnlich empfundene Nachhaltigkeits-Herausforderung stehen?

1. Die Bedeutung von Corona für die Nachhaltigkeits-Diskussion hängt maßgeblich vom a) touristischen Zielgruppen-Segment (Mainstream-Kunden vs. Special Interest-/Premium-/ Luxus-Kunden) und b) von Krisenverlauf und -dauer ab.

Letzteres erscheint trivial, ist es aber nicht: wird Corona eine Kurzfrist-Krise (wie SARS, die Vogelgrippe oder Schweinepest), ein Generationen-Ereignis (wie 9/11) oder ein Jahrhundert-Desaster (wie die spanische Grippe, die am Ende des 1. Weltkriegs mehr Menschen tötete als die gesamten Kriegshandlungen bis dahin)?

Vermutlich wird der Einfluss auf die Nachhaltigkeitsdiskussion am höchsten sein, wenn Corona keine Kurzfristkrise bleibt, andererseits aber auch (hoffentlich!) nicht zum Generationen-Ereignis oder gar Jahrhundert-Desaster wird. Ist die Krise in wenigen Wochen vorüber, dann wird – siehe Türkei-Krise vor 3 Jahren – die breite Masse der Reisenden sie schnell vergessen. Anders vermutlich das obere Drittel von Kunden, die heute schon mannigfaltig ihr Konsum- und auch Reise-Verhalten zu verändern beginnen. Corona kann dann schicksalshaft zum Nachhaltigkeits-Boost werden, denn eine mikroskopisch kleine Gefahr führt uns vor Augen, wie verletzlich unser grenzenloses Leben geworden ist. Der Zusammenhang ist dann weniger sachlogisch als psychologisch motiviert. Und warum ist eigentlich ein Ferienhaus am Bodensee nicht die bessere Wahl als das Resort auf Ko Tao?

Wird Corona dagegen zum Generationen-Ereignis oder mehr – und hat damit massive auch wirtschaftliche oder sogar soziale Folgen – dann wird die kurzfristige Not wichtiger sein als die mittelfristige Erreichung von Klimazielen.

2. Gehen wir vom wahrscheinlichen Fall aus: die Krise wird uns noch ein paar Wochen beherrschen, sie wird das Geschäftsjahr 2020 vieler Touristikunternehmen verhageln, aber der akute Einfluss wird vergleichsweise schnell vorbeigehen.

Dann, so unsere These, wird das – kurzfristig überlagerte – Thema Nachhaltigkeit schnell wieder Fahrt aufnehmen. Und es wird einer Reihe von Unternehmen deutlich mehr Chancen bieten als bisher. Hier hilft vielleicht der Blick in den Werkzeugkasten des strategischen Managements: ein probates Mittel dort lautet strategische Optionen.

Transparenz über die grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten, die sich in einer Situation wie dieser bieten. Und welche konkreten Optionen sich bieten, das dürfte sehr stark davon abhängig sein, ob man zu den a priori „natürlichen“ Gewinnern (wie z.B. Ferienhausanbieter oder die Anbieter von Bahnreisen bzw. Nahzielen) oder denjenigen Anbietern oder Leistungsträgern gehört, die primär einmal im Kontext des Nachhaltigkeitstrends eher kritisch assoziiert werden (wie z.B. Airlines, Kreuzfahrtreedereien oder Fernreiseanbieter).

Für die natürlichen Gewinner mag die abgesagte ITB auch genau den Punkt markieren, der strategisch ein sehr großes „window of opportunity“ aufstößt. Wenn selbst deutsche DMOs, Ferienhausanbieter, Bahnreise-Unternehmen konstatieren, dass sie zum Thema Nachhaltigkeit als strategische Ausrichtung noch ganz am Anfang stehen – und dies betrifft Haltung, Ziele, Strategie, Produkte/Pricing und Vermarktung und Kultur/Ressourcen/Prozesse – dann liegt hier eine Riesenchance. Vielleicht wird sich manches Unternehmen in 5 oder 7 Jahren nach rasantem Wachstum zurückerinnern an genau dieses Jahr 2020.

Für die Kreuzfahrt- und Fernreiseanbieter dagegen ist die Situation deutlich vielschichtiger und schwieriger. Eine Abkehr von diesen Reiseformen ist natürlich aus Industriesicht absolut keine Option. Reisen – gerade auch in andere Kulturkreise – ist und bleibt zentrale Grundlage für Völkerverständigung, Integration und Bildung. C02 Kompensation, Landstrom, LNG und innovative Antriebe sind da wertvolle Ansätze, aber allein zu kurz gesprungen. „Social responsability“ kommt verstärkt ins Spiel, aber das Schaffen lokaler Arbeitsplätze zu fairen Bedingungen oder der Bau von Schulen und Krankenhäusern – um nur einige Initiativen aufzulisten – hat durchaus eine Endlichkeit, ist nicht in jeder Destination und jedem Kundensegment zu vermitteln und treibt obendrein Komplexität. Transparenz, Mix und fundierte Bewertung der Optionen sind hier also unbedingt angeraten.

3. Was jetzt für Touristikunternehmen im Umgang mit ihren Kunden ganz wichtig ist: Kommunizieren: informieren – aufklären – in den Dialog treten.

Denn warum sind in Deutschland nicht nur Mundschutz- und Atemmasken sowie Desinfektionsmittel quasi ausverkauft, warum stand man letzte Woche teilweise bereits vor leeren Nudelregalen? Simpel gesagt: Corona weckt irrationale Ur-Ängste in uns, die zu ebenso irrationalen Handlungen führen. Dessen muss sich jedes  touristische Unternehmen bewusst sein, das dieser Tage mit seinen Kunden kommuniziert. Darum dürfte die Krise neben der zwingenden strategischen Auseinandersetzung mit den eigenen Optionen ein Lehrstück für gute Unternehmenskommunikation werden – und genau die werden touristische Unternehmen genauso gut und intensiv im Umgang mit der Nachhaltigkeitsthematik gebrauchen können.

Redaktion: Jörg Meurer (Partner) und Kirsten Feld-Türkis (Associate Partner/Leitung KEYLENS Kompetenzprojekt zum Thema „Nachhaltigkeit in der Touristik“)

Dieser Beitrag wurde ursprünglich von KEYLENS veröffentlicht, heute Teil der Prophet Germany GmbH


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